Am Mittwochabend verkündete der US-Präsident die zeitweilige Aussetzung der gerade erst eine Woche zuvor verhängten Extrem-Zölle für diejenigen Länder, die sich diesen Maßnahmen nicht widersetzt haben. Am Samstag hieß es, es gebe jetzt das nächste Bonbon für die Märkte. Trump rudert zurück, titeln die Medien … aber haben diejenigen, die daraufhin wie wild einstiegen oder Positionen zurückkaufen, damit festen Boden unter den Füßen?
Ich schreibe bewusst „am Samstag hieß es“, weil die Meldung, dass Elektronikprodukte wie Computer, Festplatten, Chips oder Smartphones auf einmal generell von den Zöllen ausgenommen werden sollen, auf Dokumenten der US-Zollbehörde basiert, die sich auf ein Memorandum Trumps vom Freitag beruft. Doch das Weiße Haus hat das, Stand Sonntagmittag unserer Zeit, bislang nicht offiziell verkündet. Wurde da etwas weitergeleitet, das eigentlich nur als Option in der Schublade liegen sollte? Man weiß es nicht … aber selbst, wenn das so zutrifft und damit die nächste größere Ausnahme erfolgt, sind die Gaben, die Mr. Trump da verteilt, vergiftet.
Natürlich reagieren manche am Aktienmarkt erleichtert, wenn man ihnen nach den bizarren Aktionen à la Abrissbirne auf einmal Bonbons zuwirft. Der US-Aktienmarkt war einfach zu schnell zu weit gefallen, unabhängig von der Schwere der Argumente, die diesen Abwärtstrend ausgelöst haben. Eine drastische Gegenbewegung war daher jederzeit möglich. Und dass die extrem ausfiel basierte letzten Endes auch darauf, dass die vorherige Abwärtsbewegung nicht minder extrem war. Und je mehr Akteure Short sind, desto mehr muss sofort eingedeckt werden, wenn die Kurse plötzlich drehen.
Trendwende oder nur Gegenbewegung? Beides sieht gleich aus, bis …

Dass z.B. der vorstehend abgebildete DAX im Bann solcher immens seltenen Extrem-Impulse willenlos mit gewaltigen Kurslücken in beide Richtungen reagiert und dadurch letzte Woche eine Handelsspanne zeigte, die sonst für ein ganzes Quartal reichen würde, ist da kein Wunder. Aber dass es gelang, das Minus zum Freitags-Closing großenteils aufzuholen (wenn man die nachbörslichen Kurse vom Freitagabend nimmt, sogar ganz), wirkt zwar, als sei an der Börse aktuell ein perfekter Moment, frühzeitig auf den nächsten, großen Hausse-Impuls zu setzen, aber:
Tatsächlich ist dieses Aufholen dramatischer und zugleich auf dieser kurzen Zeitebene überzogener Verluste kein Beleg dafür, dass der Spuk jetzt vorbei wäre. In Bezug auf die Ursache dieses Chaos nicht, dazu gleich, aber auch nicht in Bezug auf die Charttechnik. Zumindest noch nicht. Wenn wir uns dazu den marktbreiten US-Index S&P 500 ansehen, erkennt man das sofort:

Die Kursgewinne folgen auf nicht minder heftige Kursverluste im Vorfeld. Wir sehen Tagesveränderungen wie im Tollhaus, Intraday-Schwankungen bis hinunter auf die kürzesten Zeitebenen, die so groß sind, dass man klar erkennen kann, dass sich Trader und Handelsprogramme da gerade zu Tode zocken. Aber noch ist der S&P 500 nicht über seine Februar-Abwärtstrendlinie hinaus (um 5.600 Punkte) und nicht über die wichtige 200-Tage-Linie zurückgelaufen (5.754 Punkte).
Das könnte, wenn diese erneute Ausnahme der zuvor ins Extreme gepushten Zölle offiziell bestätigt wird, vielleicht heute gelingen. Aber bis dahin sehen wir eben nur eine Gegenbewegung innerhalb eines intakten Abwärtstrends.
Solange die für mittelfristige Kaufsignale relevanten Chartmarken nicht überboten sind, sehen eine Gegenbewegung, die an Widerständen endet, an denen das bärische Lager gemeinhin wieder aktiv wird, und eine zukünftige Trendwende genau gleich aus. Schauen wir uns dazu nur mal die Turbulenzen im Jahr 2008 an. Wie gigantisch waren auch damals die Abwärtsschübe und die Gegenbewegungen. Und doch endeten Impulse, die wie Aufwärtswenden wirkten, in neuen Baisseschüben.

Daher täte man gut daran, das Fell der Bären … die sich derart wilden Kaufwellen gemeinhin nicht entgegenstellen, sondern im Stil der Torero-Taktik warten, bis die Bullen sich verausgabt haben … noch nicht zu verkaufen, bevor sie wirklich besiegt sind. Und dieser Rat zu Vorsicht basiert nicht nur auf der reinen Charttechnik.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Dass die Weltwirtschaft derzeit derart von den Entscheidungen eines einzigen Menschen abhängig ist, ist hoch gefährlich und damit per se schon nicht gut. Aber immer mehr Investoren wird jetzt klar, dass derjenige, der da alleine entscheidet, wild auf der Tastatur der US-Wirtschaft herumdrückt ohne zu verstehen, was passiert, was diese Tasten bewirken. Es findet sich so gut wie kein Experte (ich habe zumindest noch von keinem gehört, Trumps Berater zähle ich da mal nicht zu diesem Kreis) der glauben würde, dass die Idee, den US-Staat über Einfuhrzölle reich zu machen und damit ein goldenes Zeitalter einzuläuten, funktionieren würde. Donald Trump prophezeit Entwicklungen, die sich gegenseitig rein von der Logik her ausschließen und scheint die Haken der Sache einfach nicht sehen zu wollen. Er selbst sagte am 2. April, dass er sich wundere, dass kein US-Präsident zuvor diese geniale Idee hatte. Die Experten wundert das weniger.

Hinzu kommt, dass diejenigen, die die herein tröpfelnden Ausnahmen als Kaufargument sehen, mehrere Aspekte ignorieren. Erstens sind ja gerade solche nachträglichen Ausnahmen der Beweis dafür, dass die Sache, die derart fatal auf die Weltwirtschaft wirkt, nicht zu Ende gedacht, aber trotzdem einfach mal gemacht wurde.
Zweitens scheint man zu übersehen, dass es an keiner Front so läuft wie seitens des US-Präsidenten vorher prophezeit. Wo ist das Rohstoff-Abkommen mit der Ukraine, wo bleibt eine echte Waffenruhe? Was ist denn jetzt mit Gaza und … Grönland nebst Panamakanal? Der vorstehende Chart macht deutlich, dass etwa Anfang März die Phase begann, in der immer mehr Marktteilnehmer erkannten, dass die Sache aus der Spur läuft und die Flucht ergriffen: Raus aus US-Aktien, rein in, unter anderem, Gold. Und diese Flucht endete nicht mit der Rallye der US-Aktien seit Mittwochabend. Sehen wir uns dazu die nächsten Charts an:
Kapital auf der Flucht … nur am US-Aktienmarkt nicht. Noch nicht?
Diese Schritte zurück in Bezug auf die Zölle basieren nicht darauf, dass man es sich anders überlegt hat (was, als unstetes Handeln, auch nicht positiv wäre), sondern darauf, dass man vorher die Folgen der Zölle nicht verstanden hatte. Bestätigt man im Weißen Haus diese drastische Ausnahme für Smartphones, Laptops und ähnliches, hieße das zweierlei: Scheinbar in Stein gemeißelte Strategien des US-Präsidenten sind tatsächlich nur das Herumdrücken auf Knöpfen und könnten jederzeit auf den Kopf gestellt werden. Und die US-Regierung lässt sich von US-Konzernen beeinflussen, wenn die nur laut genug Zeter und Mordio schreien und folgt damit mitnichten einem „Masterplan“.

Daraus entsteht der Gesamteindruck immenser Schwäche. Die man zwar als beeindruckende Stärke verkauft, nur kaufen die internationalen Investoren das dieser Ein-Mann-Regierung im Weißen Haus nicht mehr ab. Und damit verlieren die USA ihr Etikett der Stabilität und Stärke, die US-Märkte mutieren von scheinbar „sichern Häfen“ zu Risikoinvestments. Die Folgen sieht man bei den US-Anleihen, die zu einem Viertel von ausländischen Investoren gehalten werden – in der vorstehenden Grafik – ebenso wie beim US-Dollar (im folgenden Chart):
Hier sehen wir nicht das hierzulande übliche Chartbild, bei dem man sieht, wie viel US-Dollar ein Euro kostet, sondern das Währungspaar mal anders herum: Hier sehen wir, wie viel Euro man für einen US-Dollar zahlt, sprich wir sehen hier bei einem fallenden Kurs, dass der US-Dollar schwächer wird. Und er wird schwächer … und das zügig.

Das internationale Kapital flieht aus dem US-Markt. Die Anleihen werden verkauft, die Währung rutscht ab … da wäre es ziemlich überraschend, wenn die internationalen Investoren nur bei US-Aktien das Gegenteil täten.
Eine Rallye durch Eindeckungen und Hoffnungskäufe ist immer drin, auch in der jetzt gesehenen Größenordnung, die vermutlich auch durch die Ende der Woche anstehende Abrechnung am Terminmarkt intensiviert wird. Aber eine echte, tragfähige Aufwärtswende ohne das Geld der internationalen Investoren, die den USA gerade den Rücken kehren, das ist kaum zu machen. Und dass dieses Geld zurückkommt, solange man den Eindruck hat, dass im Weißen Haus „try and error“ gespielt wird, ist nicht wahrscheinlich.
Die US-Börsen sind aktuell toxisch … aber es könnte Alternativen geben
Die Angst, große, schnelle Gewinne zu verpassen ist erfahrungsgemäß noch größer als die Furcht, Verluste zu erleiden. Dies in Kombination mit einer um sich greifenden und immer wieder durch die bizarren Entscheidungen aus dem Weißen Haus genährten Angst macht die Intensität, mit der diese Kaufwellen zuletzt abliefen, verständlich. Je größer die Angst, desto fadenscheiniger kann der Bonbon sein, nach dem die verunsicherten Anleger greifen: Man schluckt ihn trotzdem unbesehen.
Aber solange man nicht ansatzweise absehen kann, was all diejenigen am Markt tun werden, die das anders sehen, wenn die Kurse weit genug gestiegen sind, um die Short-Seite wieder lukrativ zu machen … und solange sich zugleich nicht abzeichnet, dass der US-Regierung eine besonnene, zielführende Politik gelingt … dürften diese Bonbons in Form eines Rückbaus der zuvor mit großem Getöse hochgezogenen Zollmauer vergiftet sein. Denn so, wie sich das bislang darstellt, sind diese Schritte kein Zeichen von Einsicht, sondern das Indiz dafür, dass man in Washington keinen Plan hat, aber so tut, als wüsste man genau, was man macht. Das internationale Kapital setzt sich ab … und solange das so bleibt, ist die Long-Seite in Bezug auf die US-Börsen die deutlich riskantere. Aber:
Irgendwo muss das Kapital, das aus US-Anleihen abfließt und den US-Dollar verlässt, ja hin. Und wenn man sein Geld aus den USA abzieht, dann ja auf Basis der Befürchtung, dass die derzeitige US-Regierung ihr Schiff mit Schwung auf Grund setzen wird. Zurückrudern hin oder her, das wird selbstredend die Weltwirtschaft insgesamt in die Bredouille bringen, aber: Am Ende könnten Europa und Asien diejenigen Regionen sein, die als erste und/oder am besten wieder zurück in die Spur finden. Auch bei uns in Europa und an den asiatischen Börsen gilt, dass man sich hüten sollte, eine Aufwärtswende zu sehen, wo noch keine ist. Aber zumindest Stand heute und aus meiner persönlichen Einschätzung heraus verlagert sich das Pendel der Chancen sukzessiv weg von den US-Börsen hin in die anderen Regionen dieser Welt.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
Quellen:
Meldungen zur Zoll-Ausnahme für Elektronikprodukte, 12.04.2025:
https://www.n-tv.de/politik/USA-machen-Zoll-Ausnahme-bei-Smartphones-und-Computern-article25700513.html
https://edition.cnn.com/2025/04/12/tech/trump-electronics-china-tariffs/index.html
Sie möchten ein Depot für Ihre GmbH, AG oder UG eröffnen und Betriebsvermögen in Wertpapieren anlegen? Informieren Sie sich jetzt über unser Wertpapierdepot für Geschäftskunden: Mehr zum Firmendepot über LYNX
--- ---
--- (---%)Displaying the --- chart
Heutigen Chart anzeigen