Solche Nachrichten erwecken den Eindruck, dass es sich lohnen dürfte, solchen Analysten-Einstufungen zu folgen. Immerhin hat da ja ein Experte sein Kursziel ganz aktuell verändert. Also auch auf Basis einer brandaktuellen Einschätzung des Unternehmens, die wir selbst als Investoren aktueller ja nicht hinbekommen würden … und wenn die Aktie darauf kräftig reagiert, muss diese neue Einschätzung ja etwas taugen. Oder?
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Analysten-Einschätzungen für Aktien sind nützlich – aber nur, wenn man sie richtig einordnet!
Da sollte man sehr genau hinsehen und sich darüber im Klaren sein, wie man eine solche Einschätzung einzuordnen hat. Vorweg sei eines gleich unterstrichen:
Eine einzelne Neueinschätzung als Basis für den eigenen Kauf oder Verkauf der Aktie zu nehmen, ist, auch, wenn der Kurs auf diese Einstufung kräftig reagiert, eher selten erfolgreich.
Wieso? Aus gleich mehreren Gründen. Die Analysten sehen sich Lage und Perspektive des Unternehmens an und setzen ihr Urteil in eine Einstufung um, die meist a) ein Kursziel und b) die Empfehlung beinhaltet, ob man die Aktie als Anleger verkaufen, im Depot untergewichten, halten, im Depot übergewichten oder kaufen sollte. Aber:
- Auch deren Einschätzung ist aufgrund dessen, was sie an Informationen vor sich haben, subjektiv, wie es bei einem Anleger auch der Fall wäre. Die Analysten mögen eine höhere Expertise haben, aber: Ein Analyst kann absolut Recht haben, aber auch danebenliegen wie jeder andere auch.
- Diese Einschätzungen basieren auf fundamentalen Daten, also dem „Ist“ und der daraus abgeleiteten Perspektive. Das berücksichtigt meist das Marktumfeld und viele makroökonomische Einflüsse. Aber es handelt sich bei solchen Einschätzungen ebenso wie bei den Kurszielen nicht um Wertungen auf Basis der Chart- und Markttechnik. Die bleibt dabei immer außen vor, spielt aber bei Trends von Aktien oft die größere Rolle.
Wenn Analysten Kursziele ausgeben, beziehen sie sich auf den Kurs, den die Aktie des Unternehmens auf Basis der derzeitigen Lageeinschätzung aufgrund ihrer persönlichen Einschätzung wert wäre und erreichen könnte. Daran erkennen wir gleich eine Achillesferse solcher Einschätzungen. Und es gibt noch deutlich mehr Fallstricke. Die da wären:
Die Schwachpunkte von Analysten-Kurszielen
- Der vom Analysten geschätzte korrekte Kurs einer Aktie ist ein Ziel, das erreicht werden kann, aber nicht muss, denn Basis der Einschätzung sind zu diesem Zeitpunkt bekannte Fakten. Ändern sich die Rahmenbedingungen, wäre das Kursziel womöglich weit niedriger oder weit höher anzusetzen. Vor allem bei Kurszielen, die schon eine Zeitlang existieren, sollte man das bedenken. Was zum nächsten Aspekt überleitet:
- Die Veränderung eines Kursziels kann trügerisch sein, denn um als Anleger einschätzen zu können, ob es sich z.B. bei einer Kursziel-Anhebung von 100 auf 150 Euro und der Neueinstufung von „Verkaufen“ auf „Kaufen“ um eine wirklich massive Neubewertung handelt, sollte man wissen, wie alt das vorherige Kursziel nebst Einstufung war. Womöglich lagen diese vorherigen Einschätzungen ein halbes Jahr zurück, denn die meisten Analysten bewerten Aktien nicht jeden Monat aufs Neue.
- Die subjektive und rein auf die fundamentale Lage eines Unternehmens ausgerichtete Ausgabe eines Kursziels kann dem laufenden Trend erheblich zuwiderlaufen.
- Gerade bei besonders weit vom aktuellen Kurs liegenden Zielen kann es sein, dass hier ein mittel- oder sogar langfristiges Ziel gemeint ist. Das wird aber selten in den üblichen Nachrichten mitkommuniziert und kann daher leicht in die Irre führen.
20 Analysten, 25 Meinungen?
Auch wenn Kursziele, die der Mehrheit der Anleger zupasskommen – z. B. eine deutliche Anhebung eines Kursziels bei einer Aktie, bei der ein starker Aufwärtstrend vorliegt und dementsprechend viele auf Hausse spekulieren – kurzfristig starke Reaktionen zeitigen und es wirkt, als würde die Aktie „gehorchen“, kann das trügerisch und äußerst kurzlebig sein.
Wer sich einmal die Nachrichten zu einzelnen Aktien genauer und über einen längeren Zeitraum zurück ansieht, dürfte feststellen, dass es immens unterschiedliche Kursziele und Einstufungen gibt. Wie aber kann das sein, wenn alle Experten sich die Lage und Perspektive ein und desselben Unternehmens ansehen? Eben weil diese Einschätzungen subjektiv sind, weil sie unterschiedlich alt sind und damit auf unterschiedlichen Daten basieren und weil ihre zeitliche Perspektive mittel- oder langfristig sein kann. Was bedeutet:
Man findet es in der Tat oft, dass z.B. für ein und dieselbe Aktie fünf „Kaufen“-, fünf Halten“ und fünf „Verkaufen“-Empfehlungen vorliegen und Kursziele zwischen 20 und 50 Euro existieren, während die Aktie womöglich bei 15 oder 60 Euro notiert. Sehen wir uns zwei aktuelle Beispiele an.
Beispiele für den „rotierenden Wegweiser“ namens Analysten-Kursziele
Die Meinungen der Anleger in Bezug auf die Aktie des Elektrofahrzeuge-Herstellers Tesla gingen schon immer sehr auseinander. Aber auch bei den Analysten war und ist das so. Am Abend des 22. Oktobers hatte das Unternehmen seine Ergebnisse für das dritte Quartal 2025 vorgelegt. Am Folgetag liefen die auf Basis dieser Zahlen aktualisierten oder bestätigten Einschätzungen der Analysten ein. Drei davon haben wir im folgenden Chart der Aktie abgebildet, sehen Sie selbst:

Für ein und dieselbe Aktie auf Basis von ein und denselben Bilanzzahlen kamen drei große Analysehäuser zu komplett gegensätzlichen Ergebnissen. Denn es geht bei solchen Einordnungen der Experten nicht nur um die aktuell vorgelegten Daten, wobei auch die ja sehr subjektiv interpretiert werden können. Es geht auch um die mittelfristige Perspektive.
Und da wird die Sache dann äußerst subjektiv, denn wie sich das Umfeld und die unternehmensinterne Lage in einem oder zwei Jahren wirklich darstellen werden, weiß niemand wirklich sicher. Und hier lässt sich sehr klar erkennen, dass man bei RBC Capitals mit einem Kursziel von 500 US-Dollar höchst optimistisch für Teslas Umsatz, Marge und Gewinn ist, bei JPMorgan hingegen im Gegenteil pessimistisch ist.
Und solche immensen Diskrepanzen findet man nicht nur bei hochvolatilen US-Aktien. In unserem zweiten Beispiel geht es um die im DAX notierte Siemens-Energy-Aktie:

Sie sehen im Chart, dass zwei Analysten nahezu zeitgleich ihre Kursziele für die Aktie aktualisiert hatten: Barclays Capital kam dabei am 3. Dezember 2025 zu dem Schluss, dass Siemens Energy ein Kursziel von 85 Euro hat und man die Aktie immerhin halten könne. Nur einen Tag später sieht JPMorgan ein und dieselbe Aktie mit einem fast doppelt so hohen Kursziel und empfiehlt den Kauf. Was sind solche Analysen wert, wenn sie in ihrer Gesamtheit bisweilen den Charme eines rotierenden Wegweisers haben?
Wie Sie mit Kurszielen und Einstufungen am besten umgehen
Trendkonforme Analysen können den Trend intensivieren. Aber Analysen, die gegen den Trend laufen, haben nur selten die Kraft, die ohnehin bestehende Einschätzung der Mehrheit der Marktteilnehmer zu brechen. Wenn eine Aktie nach einer immensen Hausse wackelt, kann eine überraschend negative Einstufung zwar der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt oder, im umgekehrten Fall eines markant angehobenen Kursziels, eine Wende nach oben unterstützen. Aber die vorstehenden Beispiele deuten an, dass der Trend in der Regel erhalten bleibt. Denn:
Die Mehrheit der Akteure agiert mit dem Trend und ignoriert dann gerne Nachrichten, die nicht zu ihrer Einschätzung passen!
Wichtig ist daher beim Umgang mit Kurszielen folgendes:
- Gehen Sie nicht davon aus, dass ein angehobenes oder gesenktes Kursziel einen Trend brechen wird.
- Achten Sie darauf, sich, wenn, dann alle relativ aktuellen Einstufungen zu einer Aktie anzusehen und ggf. auch mal genauer hineinzulesen, statt sich alleine auf das neue Kursziel zu beschränken. Ansonsten laufen Sie Gefahr, subjektiv entsprechend Ihrer eigenen Meinung zu filtern.
- Denken Sie immer daran, dass Bank-Analysten eine Aktie normalerweise aus fundamentalen Gesichtspunkten bewerten. Es handelt sich da nicht um charttechnische Kursziele. Wenn es um die Charttechnik geht, ist das bei einer Einstufung gemeinhin klar ersichtlich.
Fazit zum Thema Analysten-Kursziele:
Wenn Sie sich der vorstehenden Punkte erinnern, wenn Ihnen eine solche Neueinstufung begegnet, ist die Gefahr gebannt, dass Sie diese Einschätzung zu bereitwillig übernehmen, weil sie Ihrer eigenen Meinung entspricht oder im Gegenteil ablehnen, weil sie Ihrer Meinung zuwiderläuft. Denn wer solche Analysten-Kursziele und Einstufungen nur als „Meinungsverstärker“ nutzt, läuft Gefahr, eine kurze Reaktion mitzumachen und danach zu erleben, dass die Aktie wieder in die Gegenrichtung läuft.
